Nathalie Oestreicher, Regie
Biografie
Nathalie Oestreicher CH/F wurde 1974 in Baden geboren.
Nach der Volksschule folgten diverse Experimente und Wanderjahre: in Kindergärten, im Bereich Landwirtschaft, in der Schweiz, im südlichen Afrika und in Brasilien. Sie realisierte etliche Projekte im Bereich Film und Fotografie.
2000 bis 2002 absolvierte Nathalie Oestreicher den Vorkurs an der HGKZ (Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich) und das Studium an der HSLU (Hochschule Kunst & Deisgn, Luzern) Studienrichtung Video.
Nach Anstellungen im Bereich der Postproduktion und Vertrieb für Videokunst ist sie seit 2007 in unterschiedlichen Funktionen an der Hochschule Luzern – Design & Kunst in der Studienrichtung Video tätig.
Seit 2008 arbeitet Nathalie Oestreicher als freischaffende Filmemacherin.
Filmografie
2018
Werkbeitrag Film vom Aargauer Kuratorium
2017
Apfel und Vulkan – auf der Suche nach dem was bleibt, documentary, 81 min
Visions du réel 2017
2014
Mama Africa , short documentary, 1 min
One Minute Film & Video Festival Aarau 2015
2009
When the Lord calls (Wenn der Herrgott ruft), TV documentary, 49 min
2008
Coeur Sensible, short documentary, 30 sec
1. Preis agent-provocateur.ch, Vienna Independent Shorts
2005
Homerun (Heimspiel), short documentary, 20 min
Solothurner Filmtage 2006, Images 06 Vevey, 11ème Biennale de l’Image en Mouvement 2005
2001
Weiter als Istanbul, experimental short
1. Preis Videowettbewerb, Johann Jacobs Museum, Zürich
Regiewort
Der Ausgangspunkt meines Films war die Auseinandersetzung mit dem Muttersein. Als ich Kinder bekam, habe ich mich am idealisierten Mutter- und damit Frauenbild gestört. Ich habe viel mit anderen Müttern darüber gesprochen, so auch mit meiner Freundin Fabienne. Sie hatte eine ganz selbstverständliche Haltung zum Muttersein und stellte sich keine Tausend Fragen wie ich. Das faszinierte mich.
Damals war Fabienne bereits an Brustkrebs erkrankt. Aber wir ahnten nicht, dass sie daran sterben würde. Für mich stand ausser Frage, dass sie eine tragende Protagonistin in meinem Film sein wird. Unsere Auseinandersetzung nahm eine existenzielle Dimension an, als sich herausstellte, dass Fabienne nicht mehr gesund werden würde. Fortan waren ihre Gedanken bei ihren Töchtern: Was würde sie ihnen hinterlassen? Wie würden die Mädchen mit diesem Verlust umgehen? Fabienne begann mich auszufragen, wie ich die Verluste meines Vaters als Kind und meines Bruders als Jugendliche erlebt hatte. Wie sich ihr Tod auf meine Leben ausgewirkt hat. Ich wollte Fabienne ehrliche, hilfreiche Antworten geben. Doch alles, was mir einfiel, klang für mich wie hundertmal gesagt. Es traf keinen Kern. Ich musste erst Antworten suchen: in mir, aber auch in meinem Umfeld.
Fabienne war dieser Film wichtig. Sie hatte etwas zu sagen, das sie über ihren eigenen Tod hinaus festhalten wollte. Gleichzeitig löste ihre Geschichte in mir ein starkes Echo aus. So wurde klar, dass unser Dialog Teil des Filmes werden musste. Wir spürten, dass unsere persönlichen Geschichten universelle Fragen berühren: Was bleibt von einem Menschen nach seinem Tod? Was bedeutet dessen Verschwinden für die Lebenden? Was wird erinnert? Was vergessen? Was wird im Angesicht des Todes wichtig? So kommt es, dass während des Entstehungsprozess’ dieses Filmes ein Apfel für mich an Bedeutung verlor und ein Vulkan nun mehr Raum einnimmt – kleine Dinge, die das grosse Ganze verändert haben.
Mit Fabienne ist es nur zu wenigen Drehtagen gekommen. Ich empfand diese Tage als grosses Privileg. Als ich nach dem Dreh mit den Filmaufnahmen nach Hause fuhr, hatte ich das Gefühl, ein grosses Geschenk in Händen zu halten. Und eine ebenso grosse Verantwortung.
Der Film wurde für mich zur Notwendigkeit. Die nächsten Schritte ergaben sich in einer Logik, wie ich sie bisher nicht kannte. Auch wenn es immer wieder eine Herausforderung war, diesen Weg auch wirklich zu gehen. Was bleibt? Noch immer kann ich es nicht genau benennen. Aber ich weiss, was bleibt, verändert sich ständig und eröffnet damit neue Sichtweisen aufs Leben.
«Allez! On vit! A fond!» sagt Fabienne im Film. Dank Fabienne ist der Film über die Toten, das Sterben und die Erinnerung ein Film über das Leben geworden.
Nathalie Oestreicher, April 2017